Berlin
Wer in diesen kühlen Märztagen im Berliner Regierungsviertel mit Unionspolitikern spricht – natürlich immer vertraulich –, bekommt zu hören: «Was sollen wir machen? Wir sind von der SPD abhängig.» So jedenfalls ein an den Koalitionsverhandlungen beteiligter Parlamentarier. Denn die Alternative verbietet sich die Union selbst: eine Zusammenarbeit oder auch nur eine taktische Tuchfühlung mit der AfD. Auf diese Weise setzen die in den Wahlen abgestraften Sozialdemokraten mittlerweile mehr durch als zu Ampelzeiten, quer durch alle Themenfelder, von der Finanz- bis zur Migrationspolitik.
«Wir können nicht anders»
Auf einem Gebiet muss die linke Partei die Union allerdings nicht erst vor sich hertreiben: Die illiberalen Ideen in der Rechts- und Gesellschaftspolitik, die jetzt aus den Verhandlungsrunden durchsickern, stossen offenbar gar nicht erst auf nennenswerten Widerstand der Merz-Truppe. «Wir können nicht anders» dient hier als kommode Ausrede, um durchzuwinken, was man selbst gern möchte. Im Papier der Verhandler heisst es beispielsweise: «Das Informationsfreiheitsgesetz in der bisherigen Form wollen wir abschaffen.» Diese Paragrafen ärgern nämlich SPD- wie Unionspolitiker gleichermassen, denn sie geben auch ganz gewöhnlichen Bürgern das Recht auf Einblick in Regierungsunterlagen.
Das sehr kleine Medium Multipolar und eine Einzelperson erklagten beispielsweise Zugang zu den Corona-Akten des Robert-Koch-Instituts. Die Papiere dokumentierten, dass eben nicht die Wissenschaft damals die deutsche Corona-Politik bestimmte, sondern autoritäre Politiker, die in gefügigen Hygienebeamten ideale Partner fanden. Die Veröffentlichung traf nicht nur den damaligen SPD-Gesundheitsminister, sondern auch seinen CDU-Vorgänger. So etwas, finden die Koalitionäre in spe, dürfe sich nie wiederholen.
Die Arbeitsgruppe 1 von Union und SPD wiederum einigte sich darauf, den Volksverhetzungsparagrafen 130 StGB weiter zu verschärfen. Und nicht nur das: Sie möchte dieses sehr spezielle Meinungsstrafrecht mit dem Wahlrecht verknüpfen. «Mehrere» Verurteilungen nach 130 StGB sollen in Zukunft dazu führen, dass der Delinquent für kein öffentliches Amt mehr kandidieren darf. Methoden dieser Art kennt man bisher von Venezuela und Rumänien.
Was schon der jetzige Volksverhetzungsparagraf in der Praxis bedeutet, lässt sich am Fall des Künstlers Simon Rosenthal illustrieren. In der Corona-Zeit verarbeitete er das Zitat eines bayerischen CSU-Politikers kritisch in einer Collage, nämlich dessen Satz «Impfen macht frei». In dieser Wendung klingt der Satz «Arbeit macht frei» nach, der in der NS-Zeit an vielen KZ-Lagertoren angebracht war. Während der CSU-Mann selbst von der Justiz völlig unbehelligt blieb, klagte die Staatsanwaltschaft Bamberg Rosenthal nach Paragraf 130 an, und zwar mit der bizarren Begründung, er habe, indem er den geschichtsvergessenen Satz des Politikers aufspiesste, NS-Verbrechen «verharmlost». Zwar sprach das Amtsgericht Bamberg ihn frei, die Staatsanwaltschaft will allerdings ein weiteres Verfahren. Nicht ausgeschlossen, dass am Ende doch eine Verurteilung steht. Demnächst sollen nach den schwarz-roten Vorstellungen ausserdem bestimmte nichtöffentliche Äusserungen von Beamten unter Strafe stehen, beispielsweise Bemerkungen in geschlossenen Chat-Gruppen. Auch hier beträte der Staat juristisches Neuland.
Etatisten unter sich
Auf diesem illiberal-autoritären Feld leistet die Union deshalb den geringsten Widerstand, weil hier die Distanz zur SPD von Saskia Esken am geringsten ausfällt. Nicht nur die konservative, auch die liberale Wurzel – bei der Union auch früher nicht stark – hängt heute abgestorben am Parteikörper. Das zeigte sich in ganzer Deutlichkeit während Corona. «Ungeimpfte, ihr seid raus aus dem öffentlichen Leben» – dieser ungeheuerliche Satz stammte vom CDU-Ministerpräsidenten des Saarlands, Tobias Hans, während die Unionskanzlerin Angela Merkel davon schwadronierte, jetzt müsse die Politik dem Bürger «die Zügel fest anziehen». Schwarze Länderchefs lieferten sich mit SPD-Ministerpräsidenten einen Wettbewerb um die härtesten Massnahmen.
Falls sie zustande kommt, verbünden sich in Berlin zwei durch und durch etatistische Blöcke, deren Vertreter ganz selbstverständlich die Gesellschaft vom Staat und nicht vom Bürger her denken. So entsteht gerade die ganz grosse illiberale Koalition.
Dystopische Zeiten - George Orwell hat es vorher gesehen...
Kommt jetzt die Ruhe vor dem Sturm? In meiner Umgebung werden momentan alle sehr leise, und ich habe auch bald keine Lust mehr, mich noch öffentlich und lautstark zu wehren. Nicht jeder kann, wie ich, in der Schweiz leben, aber immer mehr wünschen es sich. Wie Don Alphonso bei der Welt heute schreibt, Leute, die merken, was passiert, denken nicht mehr nur ans Auswandern, sondern unternehmen konkrete Schritte. Der Rest, der bleiben muss, wird es nicht leicht haben.
Was da läuft ist wahrhaft orwellsch, wie von Orwell erdichtet. Es gibt aber auch immer mehr Menschen, die das durchschauen. Ein schwäbisches Theater hat aktuell dazu "Animal Farm" neu inszeniert. Der Bezug zu lebenden Politikern ist natürlich frei erfunden und besteht höchstens in der Fantasie.