Mit einer Grundgesetzänderung wollen SPD, Grüne, FDP sowie CDU und CSU verhindern, dass Verfassungsfeinde das Gericht instrumentalisieren. Das Vorhaben ist richtig, wird aber keinen einzigen AfD-Wähler umstimmen.
Wenn man dieser Tage den Debatten in Berlin folgt, will absolut keine Besinnlichkeit aufkommen. Der Noch-Kanzler Olaf Scholz sprach dem FDP-Chef Christian Lindner die «sittliche Reife» ab. Wenig später unterstellte er dem CDU-Kanzlerkandidaten «Fritze Merz», «Tünkram» zu erzählen. Der wiederum hatte zuvor gesagt, Scholz’ Europapolitik sei zum Fremdschämen.
An diesem Donnerstag aber kehrte für kurze Zeit vorweihnachtliche Harmonie im Bundestag ein. Die Abgeordneten von SPD, Grünen, FDP, CDU und CSU sowie von der Linkspartei stimmten für das sogenannte Resilienzpaket für das Bundesverfassungsgericht.
In dieser Sache sind die Parteien der gescheiterten Regierungskoalition und die Union ausnahmsweise einer Meinung. Sie wollen verhindern, dass das Bundesverfassungsgericht von Verfassungsfeinden instrumentalisiert werden kann.
Das ist berechtigt. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes sahen im obersten deutschen Verfassungsgericht eine Art Experiment. Sie wollten Politikern offenhalten, Änderungen daran vorzunehmen, sollte es sich nicht bewähren.
Deshalb regelte bislang lediglich ein einfaches Gesetz seine Arbeit. Wenn eine Partei gewollt hätte, hätte sie es mit einer einfachen Mehrheit ändern und grossen Schaden anrichten können. Das hätte etwa die Zahl der Richter oder deren Amtszeit betreffen können.
Ein Blick nach Polen genügt, um zu sehen, dass die Angst begründet ist. Schon mit kleinen Gesetzänderungen hat die nationalkonservative PiS das Verfassungsgericht und den Obersten Gerichtshof weitgehend lahmgelegt – etwa mit der harmlos klingenden Vorgabe, künftig alle Anträge nach Eingangsdatum abzuarbeiten. Die nachfolgende Regierung will die Änderungen zwar wieder rückgängig machen. Die Glaubwürdigkeit des polnischen Justizsystems hat jedoch darunter gelitten.
Damit so etwas in Deutschland nicht möglich ist, werden die schon geltenden Regeln nun ins Grundgesetz aufgenommen. Im Falle einer politischen Blockade greift künftig zudem ein neuer Mechanismus für die Wahl der Richter.
Die Idee hinter alldem: Für eine Grundgesetzänderung ist eine Zweidrittelmehrheit im deutschen Parlament und im Bundesrat nötig. Für eine Partei alleine wird es so nahezu unmöglich, das Bundesverfassungsgericht für ihre Zwecke einzuspannen.
Am Donnerstag umschifften einige Abgeordnete die Abkürzung «AfD», andere machten jedoch deutlich, dass sich das Vorhaben in erster Linie gegen die Rechtspartei richtet. Die AfD sei nur noch einen Wimpernschlag davon entfernt, dem Warschauer Pakt beizutreten, sagte etwa der Grünen-Politiker Konstantin von Notz. Die AfD verstehe nichts von der liberalen Demokratie, sagte der frühere Justizminister Marco Buschmann von den Liberalen.
Wer die AfD wirklich kleinkriegen will, muss allerdings mehr tun. Mit ihrer Massnahme werden die anderen Parteien keinen einzigen AfD-Wähler überzeugen. Einige davon sind womöglich ohnehin nur noch schwer zu erreichen. Allen anderen muss man glaubhafte Lösungen anbieten, auch für Probleme, die lange ignoriert wurden.
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Die AfD ist eine verantwortungsvolle, konservative Partei! Die "Kartellparteien" haben sich mit ihren Sympathisanten und Mitgliedern in den letzten Jahrzehnten im Staat eingenistet. Sie bestimmen über das Nominierungsverfahren und die Wahl, wer Verfassungsrichter wird und sind die eigentlichen Feinde eines unabhängigen Verfassungsgerichts. Joachim Datko - Physiker, Philosoph
Ich bin inzwischen so müde über dieses Thema zu lesen oder nachzudenken. Natürlich braucht es eine frische und ehrliche Politik, die dem Willen des Volkes entspricht. Also momentan eher Mitte-rechts und NICHT Mitte-links! Aber wir werden nicht gehört. Das ist die eigentliche Gefahr für unser System.