Mit wem dinierte Deutschlands Aussenministerin Annalena Baerbock am 12. September 2024 in Berlin? Das Thema des Essens jedenfalls kennt die Öffentlichkeit, weil einige Teilnehmer darüber auf X schrieben: Israel und der Nahe Osten. Zu den Gästen der Soirée gehörten auch einige dezidierte Israelfeinde. Mit wem genau die grüne Politikerin in der Hauptstadt zusammensass, das wollte der Publizist Henryk M. Broder genauer wissen. Da die Aussenamtschefin dazu hartnäckig schweigt, klagte Broder auf Auskunft – und blitzte in dieser Woche beim Verwaltungsgericht Berlin ab. Das folgte Baerbocks pauschaler Behauptung, eine Namensnennung könnte zu diplomatischen Verwicklungen führen – obwohl ihre Gäste alle aus dem Inland stammten. Bei der Auskunftsverweigerung handelt es sich um keinen Einzelfall. Das deutsche Regierungshandeln entzieht sich mehr und mehr der Öffentlichkeit – nicht selten mit gerichtlichem Segen. Das Parlament als Kontrollorgan, die Presse als vierte Gewalt, das Informationsfreiheitsgesetz – so etwas mag im politikwissenschaftlichen Lehrbuch oder in der Paragrafensammlung stehen. Real gilt immer öfter der Grundsatz: Das geht Sie gar nichts an.

 

Umgang mit dem Geld der Bürger

Faktisch weitet die Regierung ihre Geheimniszone systematisch aus. Auf die Frage etwa, ob und was der Inlandsgeheimdienst vorab über das ominöse Treffen von Privatleuten in Potsdam im November 2023 wusste, das die staatlich finanzierte Plattform «Correctiv» dann zum republikgefährdenden rechten Skandal aufpumpte, gibt das Kabinett von Olaf Scholz auf parlamentarische und Medienanfragen keine Auskunft. Nur so viel: Eine Information darüber gefährde die Sicherheitsinteressen der Republik. Auch zu der Frage, ob und wann der Bundeskanzler Vertreter der eigenartig hybriden Organisation Correctiv zum Gedankenaustausch traf, will der Regierungschef nichts sagen. Der Austausch mit ausgewählten politischen Influencern, so sein Argument, müsse grundsätzlich vertraulich bleiben. Geheimnisschutz dient nicht dem Zweck, politische Karrieren zu schützen. Aber genau so interpretieren ihn Deutschlands Mandatsträger mittlerweile. Beispiele gefällig? Ebenfalls in der vergangenen Woche rückten die dienstlichen Mails des Kanzlers Olaf Scholz aus dessen Zeit als Bundesfinanzminister wieder ins öffentliche Bewusstsein. Besser gesagt, die Suche danach. Journalisten hatten nach dem Informationsfreiheitsgesetz entsprechende Auskunftsersuchen gestellt, das Bundesfinanzministerium behauptete bisher pauschal, das alte Mail-Postfach gebe es gar nicht mehr. Nun stellt sich heraus: Es existiert wohl doch. Und vielleicht verbirgt sich darin der eine oder andere für die Öffentlichkeit interessante Schriftwechsel des früheren Ersten Bürgermeisters von Hamburg mit seinen Parteifreunden der Hansestadt zu dem Warburg-Skandal. Man erinnere sich: Die Finanzbehörde der Stadt erliess damals der Bank unter nicht nachvollziehbaren Umständen Steuerschulden in Höhe von 47 Millionen Euro. Auch in einem anderen noch immer offenen Fall gilt beim zuständigen Ministerium das Prinzip der verschlossenen Tür. Im Corona-Jahr 2020 liess der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn für mehrere Milliarden Euro (meist überteuerte) Masken beschaffen. Dabei bekam beispielsweise ein Unternehmen aus Spahns Heimat rätselhaft gute Beschaffungskonditionen. Ein Bundestagsabgeordneter der Opposition begehrte Einsicht in die Vertragsunterlagen des Ministeriums. Nichts da, hiess: Das würde den «fiskalischen Interessen der Bundesrepublik» schaden. Selbst der Bundesrechnungshof erhielt nur unvollständige Akten zur Prüfung. Hier wie in anderen Fällen geht es nicht um echte Staatsgeheimnisse wie Aufmarschpläne der Bundeswehr – sondern um den Umgang mit dem Geld der Bürger. 

 

Handverlesene Wasserträger

Zur Berliner Gemeinpolitik gehört noch eine andere aparte vordemokratische Praxis: Während Politiker wichtige Informationen verstecken, versorgen sie unter der Hand ausgewählte Journalisten offenbar mit vorgefertigten Happen. Unterlagen des Verfassungsschutzes zur politischen Einstufung der AfD beispielsweise bleiben für die meisten geheim. Der Dienst bestätigt noch nicht einmal die Existenz dieser Gutachten. Eine Veröffentlichung kürzlich in der Süddeutschen legt allerdings nahe – genauso wie übrigens eine Aussage des Correctiv-Mitarbeiters Jean Peters in der Weltwoche –, dass regierungsnahe Medienleute über dieses Gutachten ziemlich detailliert Bescheid wissen. So geht strategische Meinungslenkung.

Politik möchten die Zuständigen in Berlin am liebsten so betreiben, wie es in Brüssel üblich ist: in Hinterzimmern, ohne Öffentlichkeit, mit handverlesenen Wasserträgern. Ursula von der Leyen zeigt, wie es geht: Ihre Mails zum Impfstoff-Deal, den sie halbprivat einfädelte, löschte sie einfach aus dem Handy. Was verschwindet, kann niemand mehr überprüfen.

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