Kaum war die neue Nationale Sicherheitsstrategie der USA veröffentlicht, begann in Europa ein scheinbar kollektives Raunen. Die Empörung rollte wie eine perfekt inszenierte Welle über den Kontinent. Besonders nachdem Medienberichte rund um eine angebliche nichtöffentliche Fassung des Dokuments auftauchten.
Dort soll etwa auch Österreich als möglicher Kandidat genannt werden, den Washington künftig stärker adressieren wolle – und zwar so, dass sich daraus eine Distanz zur EU ergibt. Österreich! Dieses vermeintliche Musterland der Brüsseler Konformität, diese nach außen hin konsensverliebte Alpenrepublik, das „Land der Seligen“, wie es Papst Johannes Paul VI. einmal genannt hat.
Die tiefe Verunsicherung Europas
Genau hier wird es in Wahrheit aber interessant. Nicht wegen dem, was tatsächlich oder vermeintlich in den Dokumenten steht, sondern wegen dem, was Europa daraus macht. Aus einer Mischung von Verdacht, Misstrauen und historischer Kränkung entsteht ein Echo, das lauter ist als die eigentliche Vorlage. Die USA kritisieren Europas politische Entwicklung heute offener denn je, und plötzlich fühlt sich der Kontinent in seiner Souveränität bedroht. Man spricht von Einmischung, Untergrabung und geopolitischer Destabilisierung.
All das verrät mehr über Europas Befindlichkeiten als über die amerikanische Strategie. Denn in Wahrheit steht dahinter eine tiefere Verunsicherung. Europa weiß, dass es – politisch, militärisch und manchmal auch moralisch – nicht mehr das Zentrum der Weltpolitik ist, als das es sich gerne sieht. Dass die USA aus ihrer Sicht europäische Schwächen heute direkter ansprechen, trifft viele EU-Hauptstädte ins Mark, weil sie damit einen Nerv berühren, den man auf dem Kontinent seit Jahren überdeckt: die Angst, in einem globalen Dreikampf zwischen USA, China und Russland Objekt statt Subjekt der Weltpolitik zu sein.
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Gerade deshalb wirkt die Empörung über die USA unter Donald Trump auch so bezeichnend eurozentristisch. Denn die Vorstellung, die Amerikaner hätten jetzt plötzlich begonnen, sich in andere Regionen einzumischen, ist historisch schlicht absurd. Der Vorwurf ist alt, in Lateinamerika sogar schlecht gealtert, und im Nahen Osten kennt man ihn im Schlaf. Von Guatemala über Angola bis in den Irak war die amerikanische Einflussnahme selten zimperlich. All das gehörte zum strategischen Werkzeugkasten einer Supermacht. Mit Unterstützung oder zumindest Duldung der wichtigen Player des alten Kontinents. Heute aber reagieren Europäer auf diesen Impuls, als habe Washington eben erst entdeckt, wie man Soft Power buchstabiert.
Die Wahrheit ist deutlich komplizierter. Die USA unter Präsident Trump sehen Europa im Wandel, manchmal im Niedergang, und sie bewerten geostrategische Beziehungen angesichts globaler Verschiebungen neu. Da überrascht es kaum, dass sie auch innerhalb Europas unterscheiden, mit welchen Staaten – und ideologischen Kräften – sie künftig intensiver kooperieren wollen. Dass Österreich in diesem Kontext genannt wird, ist weniger ein Zeichen für eine Destabilisierungsstrategie, sondern eher eine Folge der innenpolitischen Verhältnisse in der Alpenrepublik.
Bei EU- und Nationalratswahlen triumphierte zuletzt die rechte FPÖ, der historische Griff nach dem Kanzleramt scheiterte erst im letzten Moment. Seither regiert in Österreich die christlich-soziale ÖVP mit der sozialdemokratischen SPÖ und den liberalen NEOS – mit Umfragewerten, die wöchentlich neue Negativrekorde brechen.
Die FPÖ hingegen, die mit Trumps Migrationsansagen völlig d’accord geht, befindet sich im Höhenflug. Darüber hinaus kokettiert die FPÖ traditionell mit einem Öxit, also einem EU-Austritt Österreichs, wenngleich die offizielle Linie entschärft wurde, um mehr Wähler der Mitte anzusprechen.
„Österreich entscheidet selbst“ – wirklich?
Der geheime, nur vermeintlich existierende Teil der amerikanischen Sicherheitsstrategie ist in Österreich aber registriert worden. Am Donnerstag meldete sich Bundeskanzler Christian Stocker zu Wort und erklärte: „Als souveräner Staat entscheidet Österreich selbst über seine Politik – getragen einzig vom Willen der Österreicherinnen und Österreicher.“
Medial wurde ins gleiche Horn gestoßen, die Kritik an der Trump-Regierung kannte erneut keine Grenzen. Das war freilich anders, als die FPÖ im Jahr 2000 an die Regierung kam und die EU die sogenannten drei Weisen zur Überprüfung der innenpolitischen Lage entsandte – Sanktionen gegen Österreich inklusive. Hier gilt also ein weiteres Mal: Nur die ideologisch passende Einmischung ist eine gute Einmischung.