Durch das politische Berlin geistert ein Wort, das für Eingeweihte eine ähnliche Schreckenstemperatur zu entfachen vermag wie «Klimatod» für Öko-Eiferer. Das Wort lautet «Versteinerung», genauer «Versteinerung des Haushalts», und es beschreibt das finanzielle Schachmatt des Staates. Hinter dem Operettenspektakel um das Rentenpaket der vergangenen Wochen lauert noch ein weiterer Sprengsatz in den Untiefen der Staatsfinanzen: Dem Staat geht absehbar das Geld aus.

Zum Ende der Legislaturperiode 2029 wird nach Abzug von Sozialausgaben und Zuzahlung zur Rentenversicherung, Verteidigung und Schuldenbedienung durch Tilgung und Zinsen vom Steuergeld nichts mehr übrig sein. Für alles andere müssen weitere Kredite aufgenommen werden. Das ist die Versteinerung des Haushalts.

 

Wohltuende Nüchternheit

Das Land befindet sich im Sinkflug, und regiert wird es vom schwarzroten Dreigestirn Friedrich Merz, Lars Klingbeil und Bärbel Bas. Leute, die so irrtumsentschlossen sind, dass man ihnen, noch ehe sie den Mund aufmachen, «Nein!» zurufen möchte. Leute, die vom Dach springen und glauben, dass sie fliegen gelernt haben, bevor sie unten aufschlagen.

Früher wehten Protest und Erneuerung eher von links herbei. Aber seit die 16-Prozent-SPD den willfährigen Unionskanzler nach links gesogen hat, ist aus dieser Richtung nur noch Ranküne und Opportunismus zu erleben. SPD-Fraktionschef Matthias Miersch bescheinigt dem Kanzler, er könne Menschen gegenüber «ganz schlecht nein sagen». Mehr müssen wir über Friedrich Merz eigentlich nicht wissen. Er schaffte es noch vor seiner Ernennung zum Regierungschef, mit der Grundgesetzänderung zur Schuldenbremse das Vertrauen der eigenen Anhänger nachhaltig zu erschüttern.

Konsequenterweise regt sich der Widerstand nun in den Reihen der Union. Es sind junge, eher liberalkonservativ gestimmte Menschen, organisiert in der Jungen Union und der Jungen Gruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Nicht alle achtzehn Mitglieder der Jungen Gruppe haben gegen das Rentenpaket gestimmt. Aber alle haben erlebt, wie es ist, aufzumucken gegen politischen Unfug, und wie die Oberen von Partei und Fraktion darauf im Sound von Mafiabossen mögliche Nachteile wegen fehlender Linientreue andeuteten. So was vergisst man nicht.

Frontmann dieser brav gescheitelten Rebellen ist der Chef der Jungen Union, Johannes Winkel. Der 34-Jährige hat, wie sechs andere, zu den Rentengesetzen mit Nein gestimmt. Winkel stammt aus dem Siegerland, ist katholisch, die Mutter Krankenschwester, der Vater Softwarespezialist. Er selbst ist Volljurist und war für einen Anlagenbaukonzern tätig, ehe er 2025 in den Bundestag einzog. Die Arbeitswelt im Wirtschaftsleben ist ihm, anders als vielen Parteikarrieristen in Berlin, also durchaus vertraut. Eine wohltuende Nüchternheit geht von ihm aus und macht ihn zur Gegenfigur für klebrige Ideologen und frivole Moralisten.

Winkel und seine Mitstreiter, wissen dass sich das Rentenproblem nicht erschöpft in Rechenkünsten zur Ruhestandsversorgung, sondern es eines Lebensgefühls bedarf, das in vermehrten Kindsgeburten zum Ausdruck kommt. Den bevorstehenden Kulturkampf um die Korrektur weltanschaulicher Irrtümer des vergangenen halben Jahrhunderts werden die Jungkonservativen auf einem weitgespannten Schlachtfeld austragen müssen. Ein kinderfreundliches Selbstverständnis von Mann und Frau gehört dazu und der Abschied vom sozialdemokratischen Aberglauben, eine Frau fände allein in der Erwerbsarbeit ihre Erfüllung. Geborgenheit werden Kinder nur erfahren, wenn wieder altmodische Werte wie Traditionen und Bräuche zur Geltung kommen – und das Modell der heteronormativen Familie intakt bleibt. Kinder sind stockkonservative Weltneulinge, die durch Gewohnheiten wachsen und durch Experimente verarmen.

Bildung muss deshalb wieder klassischer werden und aus dem überlieferten Wissensschatz unserer Vorfahren schöpfen. Wir werden insgesamt konservativer werden müssen – und mehr rechts wagen. Die linken Lebenslügen haben uns zu einer unfrohen Population gemacht, deren Sehnsüchte nicht weiter reichen als bis zum nächstgelegenen Einkaufsparadies. Wir werden uns eingestehen müssen, dass Pazifismus bei Bedrohung eine Sackgasse ist und dass auch jener sein Leben opfert, der sich nicht verteidigt.

 

Tanz der Demokratie

Mehr rechts wagen heisst auch, wieder gottbefohlene Gelassenheit einzuüben und heiteren Patriotismus, dessen Weltläufigkeit darin besteht, zu Patrioten auf allen Kontinenten geschwisterliche Nähe zu empfinden. Schliesslich ist die Rolle rechtswärts kein Absturz in vergangene Finsternis. So können nur Deutsche wähnen, in denen das Nazi-Trauma zittert. Tatsächlich erfüllt sich die Demokratie erst, wenn ein Land mal links herum und mal rechts herum tanzen kann.

Ob die junge Schar diesen Weitblick im Auge hat, bleibt abzuwarten. Den Junge-Union-Chef umflort eine Art Sebastian-Kurz-Moment. An der Basis träumen erste Unionsanhänger insgeheim davon, Merz loszuwerden und mit einem unverbrauchten Kanzler Winkel durchzustarten.

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