Mit KI gegen Russlands Truppen: Deutschland finanziert 4000 Kamikazedrohnen für die Ukraine

Eine deutsche künstliche Intelligenz steuert eine ukrainische Drohne. Sie fliegt autonom und greift selbständig russische Ziele an. Andere Armeen werden den Einsatz der neuartigen Fluggeräte aufmerksam verfolgen.

Marco Seliger, Berlin 4 min
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Ein ukrainischer Drohnenoperateur an der Front.

Ein ukrainischer Drohnenoperateur an der Front.

Inna Varenytsia / Reuters

Es ist der nächste Schritt einer militärischen Revolution in Europa. Die deutsche KI-Firma Helsing aus München hat gemeinsam mit einem ukrainischen Hersteller eine Kamikazedrohne konstruiert, die ihren Weg und ihr Ziel autonom findet. Die Bundesregierung hat am Montag bestätigt, dass sie 4000 dieser bewaffneten Fluggeräte für die Ukraine finanziert.

Über die Drohne selbst ist vieles nach wie vor unbekannt. So gibt es etwa keine öffentlichen Bilder davon. Auf Nachfrage wollte ein Helsing-Sprecher das Aussehen der Drohne nicht einmal mündlich skizzieren. Es sollten keinerlei Rückschlüsse auf den Hersteller möglich sein, sagte er.

Die Zurückhaltung des Münchner Unternehmens bei der Nennung seines Partners ist durchaus verständlich. Laut Informationen der NZZ handelt es sich um ein ukrainisches Unternehmen, mit dem Helsing an der Entwicklung der Drohne gearbeitet hat. Russland nimmt immer wieder ukrainische Rüstungsbetriebe ins Visier seiner Luftangriffe. Dabei sollen bereits auch Drohnenhersteller bombardiert worden sein.

Für Russland ist der Einsatz einer KI-gesteuerten Kampfdrohne in der Ukraine keine gute Nachricht. Die Massnahmen, die die Streitkräfte von Wladimir Putin zur Abwehr der massenhaft von den Ukrainern bisher eingesetzten konventionellen Drohnen entwickelt haben, könnten nun weitgehend ins Leere laufen. Die Drohne, möglicherweise künftig in grosser Zahl eingesetzt, könnte das Geschehen an der Front erheblich beeinflussen.

Massenhafter Einsatz von Drohnen

Drohnen sind seit mehr als anderthalb Jahren auf dem ukrainischen Gefechtsfeld omnipräsent. Die Verteidiger setzen sie millionenfach ein, insbesondere als Ersatz für die Artillerie. Der Ukraine mangelt es sowohl an Geschützen als auch an Munition. Sie behilft sich mit einfachen, meist mit Granaten oder einem anderen Sprengmittel ausgerüsteten und ferngesteuerten Drohnen, die ebenso und mitunter weit präziser als Artillerie russische Waffensysteme, Fahrzeuge und Truppen bekämpfen können.

Russland hat gegen die Bedrohung aus der Luft ein relativ wirksames Gegenmittel entwickelt. Es besteht im Kern aus einem Sender, der Funk- oder GPS-Signale stört. Die meisten Drohnen werden über Funk, manche auch über GPS gesteuert. Die Störsender («Jammer») sorgen dafür, dass die Drohne ihr Ziel verfehlt oder abstürzt. Auch die Wirkung GPS-gesteuerter Präzisionsmunition, die die Ukrainer von den USA und anderen westlichen Staaten geliefert bekommen haben, wird durch Jammer seit längerem wirksam eingehegt.

Diese Abwehrmassnahmen greifen bei einer KI-gesteuerten Drohne nicht mehr. Ihre Software enthält alle nötigen Informationen, so dass sie keine Funkverbindung mehr zu einem menschlichen Operateur braucht. Ihre Funktionsweise ähnelt im Prinzip stark der eines Taurus. Dieser Marschflugkörper findet sein Ziel anhand von einprogrammierten Wegmarken, also typischen Merkmalen der Landschaft, die er über Kameras und andere Sensoren permanent mit dem Boden abgleicht.

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz lehnt seit langem eine Lieferung des Taurus an die Ukraine ab. Er befürchtet, die Ukrainer könnten die Waffe auf russischem Gebiet einsetzen und damit Deutschland zur Kriegspartei machen. Völkerrechtler sehen das allerdings nicht so. Scholz begründet seine Befürchtung damit, dass deutsche Techniker bei der Zielprogrammierung helfen müssten. Das käme einer indirekten Beteiligung von Bundeswehrsoldaten an dem Krieg gleich.

Drohne sucht sich ihr Ziel selbst

Bei der Kamikazedrohne ist das anders. Während der Taurus auf ein konkretes Ziel angesetzt wird, sucht sie sich ihr Ziel selbst. Damit sie weiss, was ein solches Ziel sein kann, enthält die Software die Bilder, Umrisse und andere Merkmale von russischen Waffensystemen wie etwa Panzern, Fahrzeugen, Artilleriegeschützen oder Kommandoständen. Über ihre Kameras nimmt die Drohne auf, was sie am Boden sieht, und gleicht es mit den einprogrammierten Informationen ab. Wenn die künstliche Intelligenz erkennt, dass es sich um ein russisches Waffensystem handelt, dann stürzt sich die Drohne selbständig ins Ziel. Dabei explodiert ihr Gefechtskopf. Wie viel Sprengstoff er enthält, ist geheim.

Drohnen, die auf diese Weise funktionieren, sind im Prinzip nicht neu. Es gibt ähnliche etwa auch aus den USA und Russland. Sie sind aber vergleichsweise teuer. Die Ukrainer indes haben im Verlauf des Krieges immer wieder gezeigt, dass sie teure westliche Waffen adaptieren und kostengünstiger produzieren können. Dazu gehören etwa weitreichende Drohnen.

Bei den von Helsing und den Ukrainern produzierten KI-gesteuerten Flugkörpern geht es jedoch nicht um grosse Reichweiten. Berichte, wonach diese Drohnen mehrere hundert Kilometer weit fliegen können, treffen nach NZZ-Informationen nicht zu. Die Fluggeräte eignen sich eher für den Einsatz im Frontgebiet.

Ihr Einsatzerfolg ist nicht nur für die Ukraine wichtig, sondern auch für westliche Streitkräfte. Von einer künstlichen Intelligenz gesteuerte Drohnen könnten viele Aufgaben übernehmen, die bis anhin noch Menschen erledigen müssen. Das würde Personal sparen und ermöglichen, Soldaten an anderer Stelle einzusetzen.

Einsatz steht angeblich kurz bevor

Deshalb dürften auch Deutschland und andere Staaten aufmerksam verfolgen, welche Wirkung diese Waffen auf dem Gefechtsfeld erzielen. Ihr Einsatz soll dem deutschen Verteidigungsminister Boris Pistorius gemäss demnächst beginnen. Er sei sehr froh, dass die Auslieferung der Drohnen nun beginne, zitierte ihn die «Bild»-Zeitung am Montag. Mit diesen Waffen könnten «die ukrainischen Streitkräfte gegen russische militärische Hochwertziele wirken, zum Beispiel Gefechtsstände oder logistische Einrichtungen».

Das kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass Deutschland seine Militärhilfe für die Ukraine in diesem Jahr im Vergleich zu 2023 deutlich reduziert hat. Für das kommende Jahr kündigte die nur noch bis zu den vorgezogenen Neuwahlen am 23. Februar amtierende rot-grüne Bundesregierung bereits eine weitere Kürzung der Unterstützung an.

Die Absicht, 4000 Drohnen zu liefern, ist zudem nicht neu. Sie findet sich seit einiger Zeit bereits in der Liste der Bundesregierung, in der diese die Lieferungen von deutschen Waffen, Ausrüstung und Munition an die Ukraine aufführt. Die Fluggeräte stehen dort unter «in Vorbereitung/Durchführung» und werden als «bewaffnete Drohnen» verklausuliert.