Im Streit der USA mit China scheint die EU zwischen die Fronten zu geraten. Am Donnerstag beschlossen die EU-Staaten das 19. Sanktionspaket gegen Russland. Darin geht es zwar auf den ersten Blick um das Ende der russischen Gas- und LNG-Exporte in die EU. Kurzfristige Verträge mit russischen Unternehmen müssen nach sechs Monaten, langfristige Verträge ab dem 1. Januar 2027 beendet werden. Folker Hellmeyer, Chefökonom bei Netfonds, analysiert in einer Mitteilung an seine Klienten: „Damit wird das Preis- und Versorgungsproblem durch eigenes politisches Handeln verschärft. Das ist eine Kampfansage gegen die deutschen und europäischen Unternehmen.“ Zugleich gab US-Präsident Donald Trump am Mittwoch bekannt, Sanktionen gegen die russischen Ölkonzerne Lukoil und Rosneft zu verhängen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bezeichnete die Sanktionen auf X als „klares Signal von beiden Seiten des Atlantiks, dass wir den gemeinsamen Druck auf den Aggressor aufrechterhalten werden“.
Peking: EU agiert kurzsichtig und irrational
Im EU-Sanktionspaket sind – wie bereits in den Vorgängerpaketen – jedoch auch Sanktionen gegen chinesische Unternehmen enthalten. Laut vorbereitetem Gipfel-Statement will die EU den harten Kurs gegen China fortsetzen. In dem Entwurf der Gipfelerklärung heißt es: „Der Europäische Rat fordert die Kommission auf, alle wirtschaftspolitischen Instrumente der EU wirksam einzusetzen, um unfaire Handelspraktiken abzuschrecken und ihnen entgegenzuwirken.“ Unterhändler aller 27 EU-Staats- und Regierungschefs hätten sich auf diese Formulierung bereits geeinigt, hieß es in Brüssel.
Peking protestierte sofort scharf gegen die Maßnahmen und ließ Brüssel wissen, dass China den Ukrainekrieg weder begonnen habe noch darin verwickelt sei. In der staatlichen Global Times ist eine harsche Abrechnung mit dem Vorgehen der Europäer zu lesen: Die Sanktionen spiegelten wider, „dass die EU in ihrer China-Politik vordergründig ‚strategische Autonomie‘ proklamiert, in Wirklichkeit aber über echte Unabhängigkeit und proaktive Initiative verfügt und blind den USA folgt“, sagte Zhao Junjie, leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Europastudien der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften, der Global Times. Zhao wies darauf hin, dass Europa in den vergangenen Jahrzehnten auf den Schutz der USA und der Nato angewiesen war, in der digitalen Wirtschaft und bei neuen Produktivkräften jedoch in Bezug auf Technologietransfer und Ergebnisanwendung weit hinter China und den USA zurückbleibt, wobei sowohl vor- als auch nachgelagerte Industrieketten von beiden Ländern beeinflusst werden. Zhao wies ferner darauf hin, dass die wiederholte Zusammenarbeit der EU mit den USA beim Druck auf China zeige, dass die Führung Chinas durch populistische und rechtsextreme Kräfte im Inland eingeschränkt werde. Dies führe zu kurzsichtigen und irrationalen Entscheidungen, die nicht in der Lage seien, die Herausforderungen der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes grundlegend zu bewältigen.
Peking fand auch offizielle harte Worte und forderte die EU auf, die Sanktionen gegen chinesische Unternehmen unverzüglich einzustellen und warnte sie davor, den falschen Weg weiter zu beschreiten. China werde die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um die legitimen Rechte und Interessen chinesischer Unternehmen sowie die Energiesicherheit und wirtschaftliche Entwicklung Chinas entschlossen zu schützen, so ein Sprecher des chinesischen Handelsministeriums laut der staatlichen chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua.
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Krise wegen Seltener Erden
Der Handelskrieg zwischen der EU und China war vor kurzem eskaliert, weil die niederländische Regierung in einem ungewöhnlichen Vorgang die Kontrolle über den Chip-Hersteller Nexperia mit Sitz in den Niederlanden übernommen hatte, der zum chinesischen Wingtech-Konzern gehört. Peking hatte Anfang Oktober seine Exportkontrollen für Seltene Erden verschärft. Fortan benötigen Unternehmen eine Genehmigung der Behörden, wenn sie Maschinen und Technologien für Abbau und Verarbeitung der Materialien aus China exportieren. Für ausländische Unternehmen gelten zusätzliche Einschränkungen: Sie brauchen auch eine Genehmigung für den Export von Produkten, die Seltene Erden enthalten. Peking belegte Nexperia-Produkte aus China nach der Enteignung mit einem Exportstopp. Das hat zu Lieferproblemen geführt, unter anderem in der Autoindustrie. Deutsche Autobauer befürchten Produktionsstopps, auch der Maschinenbau warnte vor Engpässen. VW hat offenbar in letzter Sekunde einen Ersatz gefunden.
Doch es scheint, als sei den Chinesen der Geduldsfaden gerissen. „Eine Krise bei der Versorgung mit kritischen Rohstoffen ist kein fernes Risiko mehr. Sie ist vor unserer Haustür angekommen“, sagte Kommissionspräsidentin von der Leyen, in einer Rede vor dem Gipfel am Donnerstag.
Rüstung droht Stillstand, was macht dann die Ukraine?
Europa müsse sich einer unangenehmen Wahrheit stellen, schreibt Politico: „Es wird Chinas Dominanz so schnell nicht entkommen.“ Die chinesischen Exportkontrollen seien „eine Gegenreaktion auf die US-Politik“, sagte eine Person aus der chinesischen Wirtschaft dem Magazin. Die Auswirkungen für die EU seien „direkt und enorm, insbesondere für den Verteidigungssektor“, schrieben Tobias Gehrke und Janka Oertel vom European Council on Foreign Relations in einem Kommentar. „Die europäische Verteidigungsindustrie droht zum Stillstand zu kommen, da Bestandsengpässe sie in Schwierigkeiten bringen könnten, genügend Waffen für den Krieg in der Ukraine zu produzieren und zu liefern.“
Die Chinesen sitzen am längeren Hebel, sagte Philip Andrews-Speed, leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter am Oxford Institute for Energy Studies, Politico: „Kurzfristig kann man nichts tun, außer zu versuchen, mit den Chinesen zu verhandeln.“
Selenskyj: China schwächt Europa um Russland zu helfen
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte, China verfolge die Schwächung Europas bewusst, um Russland zu helfen,. Chinas Ziel im Krieg in der Ukraine sei es, den Westen von einer Einigung abzuhalten, sagte Selenskyj in seiner Presseerklärung zum Gipfel. „Eines weiß ich: China hilft Russland, nicht der Ukraine, und ist nicht an unserem Sieg interessiert. Sie sind nicht an einem schwachen Russland interessiert.“ Peking sei „ein stiller, aber mächtiger Akteur im Krieg gegen die Ukraine, unterstützt Russland wirtschaftlich und pflegt eine grenzenlose Partnerschaft mit Moskau“, sagte Alexander Gabuev, Direktor des Carnegie Russia Eurasia Center, dem Magazin Politico. Peking wolle die NATO und den Westen mit der Ukraine beschäftigen, seine Ressourcen und Aufmerksamkeit spalten und die Asien-Pazifik-Region dem Einfluss Chinas aussetzen, so Gabuev.
Friedrich Merz droht, Wadephul ohne Termine
Bundeskanzler Friedrich Merz drohte China am Donnerstag am Rande des EU-Gipfels in Brüssel: „Die chinesische Staatsführung muss wissen, dass wir das nicht akzeptieren, was da gerade passiert“, sagte Merz. Nach Angaben aus Regierungskreisen setzt sich eine Reihe anderer EU-Länder dafür ein, einen Gegenschlag zu erwägen. Die EU könnte etwa den Zugang chinesischer Firmen zu öffentlichen Ausschreibungen in der EU einschränken oder Zölle erheben. Merz räumte jedoch kleinlaut ein, dass man bemüht sei, „eine gemeinsame Lösung“ zu finden „keine Eskalation des Konflikts“ wolle. EU-Wirtschaftskommissar Valdis Dombrovskis sprach von „Gegenmaßnahmen“.
Um das Schlimmste zu verhindern, wollte Merze seinen Außenminister Johann Wadephul nach China schicken, um Wetter zu machen. Doch der bekommt nicht einmal einen Termin: Der für kommende Woche angesetzte Besuch des Ministers in Peking sei „kurzfristig verschoben“ worden, teilte die Sprecherin des Auswärtigen Amts, Kathrin Deschauer, am Freitag in Berlin mit. Die chinesische Seite habe die Termine Wadephuls nicht bestätigen können, sagte sie. Der Minister hätte zwar seinem Kollegen einen Höflichkeitsbesuch abstatten können, die Fachleute aber gingen in Deckung. Es gab keine Termine auf der Arbeitsebene - ein ungewöhnlicher Vorgang.
Wadephul wollte China bei seinem Besuch in Peking dazu drängen, die Exportbeschränkungen für Seltene Erden und Halbleiter zu lockern und dabei den fairen Handel als Eckpfeiler erfolgreicher Beziehungen betonen, hatte er Reuters erklärt. Außerdem wollte er erwirken, dass China Russland nicht mehr in ihrem Krieg gegen die Ukraine unterstützt. Dass er keinen Termin bekommen hat, ist eine Abfuhr für Merz und zeigt, dass sich das Interesse an einem Austausch mit der Bundesregierung in Peking in Grenzen halten dürfte.
China im Handel für Deutschland wichtiger als USA
Deutschland befindet sich in einem Dilemma: Laut Statistischem Bundesamt sind die USA nicht mehr der wichtigste deutsche Handelspartner, sondern China. Die deutschen Exporte in die USA brachen im Zeitraum von Januar bis August 2025 um 7,4 Prozent ein, die Exporte nach China um 13,5 Prozent. Die Importe aus den USA stiegen um 1,4 Prozent, die Importe aus China stiegen um 8,3 Prozent.
Ökonom Hellmeyer: „Diese Entwicklung kommt nicht überraschend. Die mangelnde Konkurrenzfähigkeit des Standorts führt zu Produktionsverlagerungen in Länder, in denen die Rahmendaten stimmen. Entsprechend fallen hier Exporte weg, in anderen Ländern oder in China findet dann die Produktion statt (siehe BASF mit ‚Ludwigshafen II‘ in China). Bezüglich der USA sind die Zölle sicherlich primärer Katalysator der jüngsten Entwicklungen.“
China kontert Merz eiskalt - mit deutschen Erfolgsstorys
Die Chinesen sind, nach Eigeneinschätzung nicht, wie von Merz unterstellt, auf Krawall gebürstet. Sun Xiaohong, Generalsekretär der Automobilbranche der Chinesischen Handelskammer für den Import und Export von Maschinen und elektronischen Produkten, sagte der staatlichen chinesischen Nachrichtenplattform China Daily, China und die EU seien industriell und kommerziell eng integriert und verfügten über komplementäre Stärken in den Bereichen Technologie, Kapital und Marktnachfrage. Diese Einschätzung steht laut China Daily im Einklang mit den neuesten Außenhandelsdaten. Laut Statistiken der Allgemeinen Zollverwaltung stieg der Handel zwischen China und der EU in den ersten drei Quartalen 2025 im Vergleich zum Vorjahr um 5,2 Prozent auf 4,4 Billionen Yuan (618 Milliarden US-Dollar).
China lässt Merz mit seiner Kritik eiskalt auflaufen - indem man ihm vorführt, wei wichtig China für die deutsche Wirtschaft ist. China Daily zitiert Xiao Song, Global Executive Vice President des deutschen Mischkonzerns Siemens AG: Dieser sagte, die verstärkte Zusammenarbeit ermögliche es chinesischen und europäischen Unternehmen, gemeinsam Innovationen voranzutreiben, die Widerstandsfähigkeit der Lieferketten zu verbessern und den grünen und digitalen Wandel zu vollziehen. Xiao Song kündigte an, dass Siemens im Rahmen der kommenden achten China International Import Expo in Shanghai im nächsten Monat zahlreiche neue Verträge mit chinesischen Partnern abschließen werde, hauptsächlich im Bereich der industriellen künstlichen Intelligenz: