Der Sozialstaat sei «nicht mehr finanzierbar», sagt der deutsche Kanzler Friedrich Merz. Doch die SPD bremst seinen Reformeifer
Merz möchte noch in diesem Herbst den deutschen Sozialstaat vom Kopf auf die Füsse stellen. Die sozialpolitischen Vorstellungen der Koalitionspartner gehen allerdings weit auseinander.
Deutschlands Kanzler Friedrich Merz beim Landesparteitag der CDU in Niedersachsen
Michael Titgemeyer / Imago
Friedrich Merz hat am Wochenende den Druck auf seinen Koalitionspartner erhöht und eine tiefgreifende Reform des Sozialstaats gefordert.
Merz sagte beim Landesparteitag der CDU im norddeutschen Bundesland Niedersachsen in Richtung der SPD, er werde sich «durch Worte wie Sozialabbau und Kahlschlag und was da alles kommt, nicht irritieren lassen». Der Sozialstaat, «wie wir ihn heute haben, ist mit dem, was wir volkswirtschaftlich leisten, nicht mehr finanzierbar».
Die Reaktion der Sozialdemokraten folgte auf dem Fuss. «Was nicht funktionieren wird, ist, dass man sagt, wir sparen jetzt 30 Milliarden beim Sozialstaat ein», sagte der Vizekanzler und SPD-Co-Vorsitzende Lars Klingbeil. Als Finanzminister muss er einen Weg finden, bis 2027 ein Haushaltsloch in Höhe von 30 Milliarden Euro zu stopfen. Geht es nach ihm, soll das durch höhere Steuern für «Gutverdiener» gelingen.
Menschen mit hohem Vermögen «sollten ihren Teil dazu beitragen, dass es in dieser Gesellschaft gerechter zugeht», sagte Klingbeil – und das, obwohl CDU, CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag Steuererhöhungen eigentlich ausgeschlossen hatten. Es brauche «mehr Phantasie statt einfach nur Leistungskürzungen für die Arbeitnehmer», so der Finanzminister gegenüber der Funke-Mediengruppe.
Merz plant einen «Herbst der Reformen»
Eigentlich hat sich die schwarz-rote Koalition das Ziel gesetzt, die Sozialsysteme zu modernisieren. Das umlagefinanzierte Rentensystem soll laut Koalitionsvertrag durch eine «Frühstart-Rente» ergänzt, die Sozialhilfe effizienter gemacht werden.
Konkret hat man sich aber nur auf mehrere Kommissionen geeinigt. Ende vergangener Woche setzte Arbeitsministerin Bärbel Bas von der SPD eine «Sozialstaatskommission» ein, die sich mit Wegen zur Reform des Sozialstaats befassen soll. Eine weitere Kommission soll im kommenden Jahr Vorschläge zur Reform der Rente erarbeiten.
Für Merz ist das offenkundig zu wenig. Er kündigte einen «Herbst der Reformen» an. Um die möglichen Massnahmen zu beraten, treffen sich an diesem Montagnachmittag zunächst die Minister sowie die Spitzen der Unionsparteien CDU und CSU im Kanzleramt. Am Donnerstag und Freitag kommt anschliessend die Führung von Union und SPD zur Klausur im bayrischen Würzburg zusammen.
Es dürfte nicht leicht werden, die unterschiedlichen sozialpolitischen Vorstellungen von Union und SPD zu überbrücken. Bereits im Wahlkampf hatten sich die fundamental unterschiedlichen Ansätze der späteren Koalitionspartner gezeigt. CDU und CSU warben damit, das Bürgergeld, wie die Arbeitslosenhilfe in Deutschland heisst, zu einer schlanken Grundsicherung umzubauen. Sie stellten Steuersenkungen in Aussicht. Die SPD warb dagegen mit dem Versprechen einer staatlich garantierten «sozialen Sicherheit». Daran hält sie auch heute fest.
Der Staat bezuschusst die Sozialsysteme mit Milliarden Euro
Der CSU-Vorsitzende Markus Söder liess derweil keinen Zweifel an seiner Loyalität zu Merz. Er sagte im Sommerinterview der ARD, Steuererhöhungen werde es mit dieser Koalition nicht geben: «No way, no chance.» Die Union wolle die Einkommenssteuer reduzieren.
Mit Blick auf die Erbschaftssteuer, die bundesweit einheitlich geregelt ist, deren Aufkommen aber allein den Ländern zufliesst, sprach sich Söder für eine Regionalisierung aus. Dann könnte jedes Bundesland eigenständig über die Höhe des Steuersatzes entscheiden. In Bayern werde die CSU sie dann senken, so Söder, der als bayrischer Ministerpräsident amtiert.
Söder sagte ferner, die Union wolle den Sozialstaat nicht «schreddern», sondern «updaten». Doch auch er räumte ein, dass es Probleme dabei gebe, den Sozialstaat zu finanzieren.
Tatsächlich greift die Bundesregierung den Sozialversicherungen schon jetzt unter die Arme, um das Niveau der Leistungen zu halten. Weil die Beiträge der Einzahler allein nicht ausreichen, erhält die gesetzliche Rentenversicherung jährlich rund 120 Milliarden Euro vom Bund. Zusätzlich will die Regierung künftig die gesetzlichen Krankenversicherungen mit 10 Milliarden und die Pflegeversicherung mit 6 Milliarden Euro bezuschussen.
Merz hat mit seiner Äusserung vom Wochenende die sozialpolitische Wirklichkeit in Deutschland präzise umrissen: Mit einer Rezession, einer niedrigen Geburtenrate sowie einem schwachen Produktivitätswachstum lassen sich Deutschlands soziale Sicherungssysteme schwerlich weiter finanzieren. Höhere Steuern würden mehr Wohlstand abschöpfen, aber nichts an der Krise des Sozialstaats ändern. Soll er künftig in Deutschland erhalten bleiben, muss er grundlegend reformiert werden.
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