GRÜNE/LINKE      -      Prof. Norbert Bolz - Zeitgeist     -       WOKE


Als Uniprofessor, Medienwissenschafter und Publizist gehörte Norbert Bolz zur geistigen Elite Deutschlands. Heute ist er einer der lautesten Kritiker des links-grünen Zeitgeistes, der seiner Meinung nach die Universitäten, die Medien und die Politik dominiert.

Dieses Gejammer des alten weissen Mannes ist unmännlich», findet Norbert Bolz.

Auf Twitter ist er schon lange eine Reizfigur. Dort verbreitet Norbert Bolz gemäss Eigenwerbung täglich «die Wahrheit in einem Satz». Am 16. Februar etwa fiel ihm dieser Satz ein: «Was anders ist als 68: Die Extremisten sind an der Macht.» Mit seinen geistreichen, oft polemischen und manchmal arg pauschalisierenden Wahrheiten hat sich der 69-jährige Medienwissenschafter ebenso beliebt wie verhasst gemacht. Kritiker monieren, er habe sich auf Twitter radikalisiert und biedere sich bei Rechtsaussen an; ein gut besoldeter, mediengewandter Untergangsprophet, der sich als Opfer der «Cancel Culture» inszeniere.

Er selber sieht sich bis heute als Anhänger des rechten SPD-Flügels, der immer noch gleich denkt wie vor 20 Jahren, wegen des Linksrucks in der Gesellschaft aber als alter weisser Mann gilt. Diesen alten weissen Mann verteidigt Bolz in seinem jüngsten Buch, wie man es von ihm gewohnt ist: fulminant, gespickt mit Kampfbegriffen wie «Gendergaga», «kulturelle Taliban» oder «Sprachdiktatur». Zum Zoom-Gespräch erscheint er im Pullover und gut gelaunt.

Widersprechen könnte man trotzdem. Gibt es heute gar keinen Widerstand mehr von Liberalen und Konservativen?
Ich kann es jedenfalls nicht entdecken. Vielleicht hat sich ja in den drei Jahren, in denen ich pensioniert und nicht mehr selbst an der Uni tätig bin, ein Wunder ereignet. Eher das Gegenteil ist der Fall: Die meisten Professoren halten sich vollkommen heraus. Sie passen sich entweder an, um ihre Karriere nicht zu gefährden, oder gehen in eine Art innere Emigration. Ich sehe nirgendwo, dass es zu einer Kontroverse käme, von einigen wenigen Einzelkämpfern abgesehen. In den 1960er, 1970er Jahren gab es noch konservative Schulen, etwa die Ritter-Schule in Münster. Auch die Universität in Köln war einigermassen konservativ. Ein solches Widerlager sehe ich heute nicht mehr.

Die Leute sind zu feige, um sich zu wehren?
Sie dürfen eines nicht vergessen: Das, wovon viele Wissenschafter leben, die berühmten Drittmittel, die Projekte, die dann auch regierungsfinanziert sind, das hängt auch von ihrer politischen Konfession ab, ob sie sich zu bestimmten Themen bekennen. Wenn Sie Unterstützung für ein Projekt wollen, müssen Sie eins der grossen Themen aufgreifen: Antikolonialismus, Klimakrise, Migration, Rassismus, Gender. Wenn Sie das nicht machen, kriegen Sie nichts. Sie sehen das auch im Kulturbereich. Wenn Sie in Deutschland Filme fürs Fernsehen produzieren wollen, müssen Sie bestimmte Quoten erfüllen, damit die Diversität gewährleistet ist. Es braucht so und so viele Frauen, so und so viele Leute mit

Migrationshintergrund, und von jeder sexuellen Orientierung mindestens einer. Selbst bei Krimis geht es nicht mehr darum, wer der Mörder ist, sondern welche politischen Probleme man auch noch abhandeln kann. Und es gibt noch einen entscheidenden Punkt

Mir wurde schon nachgesagt, ich hätte mich mit meinem Twitter-Verhalten radikalisiert. Das müsste dann auch meine Publikationen betreffen. Die Erklärung dafür ist aber ganz simpel: Ich bin pensioniert worden. Es gibt nichts Schöneres, als pensioniert zu sein, wenn man noch halbwegs denken und arbeiten kann. Denn dann ist man wirklich frei. Niemand kann mir noch etwas anhaben. Kurz vor meiner Pensionierung hat mich der Präsident der TU Berlin, wo ich lehrte, vorge-laden und mich nach meinem Twitter-Account gefragt. Er mache sich Sorgen, dass die Reputation der Technischen Universität leide aufgrund meiner Tweets. Und die waren damals übrigens noch harmloser als heute.
Es gibt doch auch Linke, die abgemahnt werden.

Ich kenne keinen einzigen Fall. Man darf, wenn man links ist, schon sehr – ich will es vorsichtig formulieren – unhöflich sein, das zulässige Mass an Vulgarität und Aggressivität wird sehr unterschied-lich beurteilt. Als Konservativer gelten Sie gleich als Hetzer oder Hassprediger. Es gibt eine deutliche Asymmetrie beim Umgang mit rechts und links. Das gilt für alle öffentlichen Räume.

In Ihrem Buch sprechen Sie von einer Uniformierung der Meinungen, obwohl sich heute alle als Individualisten und Freigeister gebärden. Welche Rolle spielen die Medien?
Es fällt mir sehr schwer, in diesem Punkt nicht pauschal zu werden. Der öffentlichrechtliche Rundfunk navigiert in Deutschland mittlerweile haarscharf an der Propaganda vorbei, um es mal vorsichtig auszudrücken. Mich deprimiert, dass die privaten Sender kaum Gegenstimmen bieten. Dabei hat Helmut Kohl Sat 1 einst praktisch in die Welt gesetzt, damit private Sender eine Gegenstimme sind zum öffentlichrechtlichen Rundfunk. Das ist aber bei uns nicht der Fall. Und ähnlich ist es leider Gottes auch in der übrigen Medienlandschaft. Zeitungen, die ich früher über den grünen Klee gelobt habe, wie die «FAZ», bringen mich ins Grübeln. Was ist bei denen los? Was drängt die dazu, derart radikal auf den Regierungskurs zu setzen?

Was ist Ihre Theorie?

Ich glaube, die Mehrheit der Intellektuellen und der Journalisten hat zum ersten Mal die Regierung, die sie will. Deshalb dieser Konformismus, diese kaum mehr ernstzunehmende Regierungskritik. Enzensberger hat das mal ein Püree genannt, durch das man nur mit klebrigen Füsschen hindurchwaten kann.

Sie werfen den Medien vor, weisse Lügen zu erzählen, also nicht zu lügen, sondern zu übertreiben und Fakten auszublenden, die ihnen nicht passen. Gleichzeitig schreiben Sie, die Cancel Culture herrsche «uneingeschränkt» im öffentlichrechtlichen Rundfunk. Damit verbreiten Sie doch selber weisse Lügen. Sahra Wagenknecht, um nur ein Beispiel zu nennen, ist Dauergast in Talkshows.

Natürlich sind wir nicht in einer Diktatur oder einem totalitären System. Unsere Gesellschaft ist viel kultivierter und raffinierter. Schauen Sie sich einfach eine normale Talkrunde an, wie das seit Jahren abläuft. Da sitzen meist fünf Leute, vier vertreten praktisch dieselbe Meinung, einer hat eine Gegenmeinung, und der wird dann runtergemacht.
Sie stellen überall eine Cancel Culture fest, gerade was die Meinung des alten weissen Mannes betrifft. Jetzt haben Sie als alter weisser Mann ein Buch veröffentlicht. Sie geben Interviews, halten Vorträge, schreiben Gastbeiträge. Ist das nicht eine etwas seltsame Klage?

Nein, ich klage nicht. Dieses Gejammer des alten weissen Mannes ist unmännlich. Mir geht es um etwas anderes. Mein Buch ist eine Art Argumentationshilfe für all diejenigen, die wegen der Political Correctness gewissermassen sprachlos geworden sind. Meine Hoffnung ist nicht, dass ich als Liberaler oder Konservativer irgendetwas verändern kann an diesem kulturellen Dilemma. Aber ich habe die Hoffnung, dass intelligente Linke – und da gibt es immer noch einige –, dass die sich ekeln, wenn sie den hirnverbrannten Unsinn sehen, der heute im Namen der Linken verbreitet wird. Denn mit Links-Sein im klassischen Sinne hat das gar nichts zu tun. Ich habe einigen Linksintellektuellen gesagt: «Was ich mir von euch erhoffe, ist ein Comingout, im Sinne von: Wenn das links sein soll, bin ich nicht links, und das ist gut so.» Ich bin sicher, dass viele Linke mit diesem Mist gar nichts zu tun haben wollen.

Was sind die Folgen, wenn man Dinge wie den islamistischen Antisemitismus nicht mehr benennen will und das Unangenehme verdrängt oder eben tabuisiert?

Sigmund Freud spricht davon, dass das Verdrängte wiederkehrt, und zwar auf entstellte und hässliche Weise. Bei der gegenwärtigen Unkultur geht es genau darum. Ich kann mir diese irre Aggressivität und Wut nur so erklären. Was niemals berührt werden kann, schafft sich dann trotzdem Ausdruck. So entwickeln wir uns immer mehr zu einer therapeutischen Gesellschaft. Die Bürger werden nicht mehr als Bürger, sondern als Patienten behandelt.
In dieser wehleidigen, therapeutischen Gesellschaft werde das, wofür der alte weisse Mann stehe, zunehmend entwertet, schreiben Sie. Dabei würden wir alles, worauf wir stolz sein könnten, dem alten weissen Mann verdanken.

Eine steile These.

Die westliche Kultur hat die grosse wissenschaftlich-technische Entwicklung zu verantworten, die die ganze Welt modernisiert hat. So hat es schon Max Weber vor über 100 Jahren formuliert, und schon damals kam der Einwand, was denn mit den genialen Entwicklungen der chinesischen Wissenschaft sei oder den indischen Mathematikern. Das stimmt alles, aber erst der Westen hat die tollen Erfindungen der anderen ökonomisch umgesetzt, um die gesamte Welt zu revolutionieren. Dahinter steht niemand anderer als der alte weisse Mann oder manchmal auch junge weisse Männer. Auf jeden Fall tote weisse Männer.

Woher kommt der Drang, alles schlechtzumachen und überall nur Defizite, Diskriminierung und Unterdrückte zu suchen, obwohl die Gesellschaft noch nie so frei, gleichberechtigt und wohlhabend war?

Sowohl England und Frankreich auf der einen Seite als auch Amerika auf der anderen Seite sowie Deutschland haben ihre grossen Katastrophen gehabt, die jetzt gegen sie verwendet werden und die sie vor allen Dingen gegen sich selbst wenden in einer Art Selbstgeisselung. Bei den Franzosen und Engländern ist es der Kolonialismus, bei den Amerikanern der Rassismus gegen die Schwarzen und bei uns in Deutschland der Holocaust. Alles ist darauf fixiert, und so diskutiert man nun über Antikolonialismus, Antirassismus und führt den ewigen Kampf gegen Hitler.
Können wir dieses schlechte Gewissen in der westlichen Welt besonders gut kultivieren, weil es uns so gut geht?

Das ist ein wichtiger Grund. Die Intellektuellen haben aber auch eine Art Statusinkonsistenz-Problem. Das heisst, sie verdienen weniger als die Leute, denen sie die Leviten lesen, den Politikern oder den Unternehmern. Die Intellektuellen sind zwar kulturell hoch angesiedelt. Aber vergleichen Sie einmal das Einkommen eines Sparkassendirektors irgendeines Provinznestes mit dem Einkommen eines Universitätsprofessors. Die Intellektuellen neigen deshalb zum Ressentiment, was sie dann Gesellschaftskritik nennen. Die Selbstkritik ist wohlgemerkt ein Alleinstellungs-merkmal der westlichen Intellektuellen. In anderen Kulturen macht man sich selbst nicht so fertig. Diese Selbstkritik ist heute in Selbstgeisselung umgeschlagen. Statt Argumente zu bringen, wird nur noch moralisiert. Das führt letztlich zu einer Verdummung der Intellektuellen.
Gehen wir zurück zum Mann. Genies würde man ausschliesslich unter Männern finden, sagen Sie. Wir nehmen an, Sie sind vorbereitet auf den Aufschrei der Feministinnen?

O ja, ich rechne mit Prügel. Aber meine Aussage wird durch die sogenannte Glockenkurve gestützt, und alle Daten bestätigen das: Es gibt sowohl sehr geniale wie unfassbar blöde Männer. Bei den Frauen hingegen konzentriert sich die Intelligenz im Schnitt in der Mitte, sie liegen in der durch-schnittlichen Intelligenz höher als die Männer. Nur in den Extremen stimmt das nicht. Frauen sind auch fleissiger. Deshalb gibt es immer mehr Frauen an wichtigen Positionen in der Gesellschaft, und dies vollkommen berechtigt. Der Dümmste der Dummen ist ein Mann, aber eben auch der Klügste der Klugen. Lasst doch den Männern wenigstens dieses wenige. Lasst sie hin und wieder ein paar Genies ausspucken. Sie stellen am andern Ende auch die Peinlichkeiten der Gesellschaft dar. Sie gelten ja ohnehin als Trottel der Nation.

Norbert Bolz: Der alte weisse Mann. Sündenbock der Nation. Langen-Müller-Verlag, München 2023. 256 S. Fr. 36.90.


 
 
 
 
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